Was ist das Zichtower Gutshaus-Projekt?

Vorab: Diese Beschreibung soll Interessenten einen Eindruck vermitteln, was es mit dem Gutshausprojekt in Zichtow auf sich hat. Die Beschreibung kann auf keinen Fall ein persönliches Erleben und Kennenlernen ersetzen. Sie basiert auf einem längeren Text, der vor ein paar Jahren zur internen Selbstverständigung entstanden ist. Bei der Kürzung und Überarbeitung fiel wieder auf, dass ein solches Projekt und die beteiligten Menschen sich mit der Zeit weiter entwickeln. Das wird sicher auch der Fall sein, wenn neue Menschen sich beteiligen.

1. Die Immobilie, ihre Lage und ihr Zustand

Periphere Lage

Das Gutshaus liegt in einer ziemlich peripheren Region Deutschlands: eine extrem dünn besiedelte und wirtschaftsschwache Gegend, dazu der letzte Zipfel vom Landkreis und von der Gemeinde. Alles ist weit weg, sogar der Badesee. Die einzige Ausnahme ist die relativ gute Bahnverbindung (RE 2, Bahnhof Breddin), die bei der Entscheidung für den Kauf im Jahr 2000 wichtig war. Die Umgebung ist landschaftlich nicht ohne Reiz, aber auch von großflächiger Landwirtschaft geprägt und ohne herausragende Highlights. Dafür gibt es viel Natur. Hasen, Igel und Rehe laufen übers Grundstück. Kraniche, Störche, Milane und Waldkäuze fliegen darüber und brüten in der Nähe. Es gibt Brenneseln und Insekten.

Platz ohne zudringliche Nachbarn

Das Gutshaus hat 550 qm Nutzfläche (plus Keller und Dachboden). Das Grundstück ist 2600 qm groß: jede Menge Platz also für Kinderauslauf, Sonnenbaden und Lagerfeuer. Die direkten Nachbarn sind mit dem Verein verbandelt und bieten eine Art räumlichen „Puffer“ zur weiteren Nachbarschaft, die aber auch ganz freundlich ist und keine größeren Anforderungen stellt. Zichtow ist eine  Gutssiedlung und kein klassisches Dorf. Die Häuser stehen meist weiter auseinander. Wer hier wohnt oder herzieht, findet es ganz gut, sein eigenes Ding machen zu können.

Einfacher Standard

Das Gutshaus war beim Kauf „von allen Medien getrennt“ und befand sich in einem ziemlich schlechten Zustand, den wir zunächst gar nicht überblickt haben. Inzwischen sind Dach und Dachstuhl saniert, sodass das Haus innen ausgebaut werden kann. Ver- und Entsorgung sind hergestellt bzw. organisiert. Es gibt 3-4 Zimmer und die Gemeinschaftsküche, die einen Aufenthalt in einfachem Standard für Freizeitzwecke erlauben. Es ist teilweise mit Öfen beheizbar und daher auch im Winter zu nutzen. Es fehlt für einen insgesamt einfachen Standard noch ein Bad, an dem gerade gearbeitet wird.  Es ist nicht vorgesehen, das Haus als Haupt- oder Dauerwohnsitz zu nutzen.

Kulturdenkmal

Das Haus ist das älteste und bedeutendste Gebäude von Zichtow, steht deshalb unter Denkmalschutz und ist etwas für Leute, die alte Dinge mögen. Es ist ca. 250 Jahre alt und seine spätbarocke Grundstruktur ist weitgehend erhalten. Von der bauzeitlichen Innenausstattung ist aber so gut wie nichts mehr vorhanden. Es müssen Auflagen und Beschränkungen des Denkmalschutzes beachtet werden. Allerdings sind diese nicht gravierend, wenn man selbst an einem behutsamen Umgang mit dem kulturellen Erbe interessiert ist.

Dauerbaustelle

Das Haus ist nach wie vor in weiten Teilen unausgebaut. Es ist das Ziel aller Beteiligten, nach und nach weitere und komfortablere Nutzungsmöglichkeiten zu schaffen. Nach derzeitigem Entscheidungsstand ist vorgesehen, das Dachgeschoss überwiegend für Wohn- und Schlafräume und das Erdgeschoss überwiegend für Gemeinschaftsflächen zu nutzen. Ein fester Plan zur Reihenfolge der Arbeiten oder zu zeitlichen Ausbauzielen existiert nicht. Prioritäten und einzelne Schritte werden gemeinsam festgelegt. Das Haus wird daher auf unabsehbare Zeit eine Baustelle sein.

2. Der Verein

Eigentümer

Der Mangold e.V. ist Eigentümer des Gutshauses. Das Gutshaus gehört also dem Verein und seinen Mitgliedern, die darüber nur gemeinsam verfügen können. Der Verein hat das Haus aus zinslosen Darlehen seiner Mitglieder gekauft. Die von den Mitgliedern jeweils geleisteten Darlehen sind nicht sehr hoch, sodass der Austritt einzelner Mitglieder den Verein nicht in schwerwiegende finanzielle Schwierigkeiten bringt. Der Verein ist so konstruiert, dass es durch einzelne Mitglieder kaum möglich ist, sich das Gutshaus anzueignen oder den Verein durch Austritt und Abzug der eingebrachten Ressourcen zum Scheitern zu bringen. Weil die Satzung jede*r selber lesen kann, soll nur auf einige Punkte näher eingegangen werden.

Gleichheit der Mitglieder

Die Satzung des Vereins schreibt die formale Gleichheit aller Mitglieder fest. Daher sind in der Satzung keine Funktionen oder Ämter vorgesehen (außer einem Vorstand, den das Vereinsrecht erfordert). Der Vorstand vertritt den Verein zwar formal nach außen, ist aber völlig von den Entscheidungen der Mitglieder abhängig.  Aufgaben werden faktisch und immer temporär übernommen – nicht qua Amt oder Funktion.

Entscheidungen

Die Vereinssatzung schreibt einen „passiven Konsens“ als Entscheidungsmodus des Vereins fest. Dieser Modus gilt für jede Art der Entscheidung, auch für solche, die nicht im Plenum getroffen werden. Passiver Konsens bedeutet einerseits, dass nur diejenigen an einer Entscheidung beteiligt werden müssen, die sie auch betreffen und dass Entscheidungen getroffen sind, wenn ihnen niemand widerspricht.

Finanzen

Der Verein hat ein Konto und verfügt durch Mitgliedsbeiträge über regelmäßige Einnahmen, die die laufenden Kosten sowie die Kosten für kleinere Baumaßnahmen decken. Dazu kommen die Darlehen der Mitglieder und Spenden, wenn größere Ausgaben für Material und externe Arbeitskräfte beglichen werden müssen. Durch sehr viel Eigenarbeit und die Verwendung von Recyclingmaterialien haben wir es geschafft, das Bauen kostengünstig durchzuführen.

3. Die Mitglieder

Der Verein hat nur wenige Mitglieder. Es besteht die Möglichkeit für Paare, eine „gemeinsame Mitgliedschaft“ zu haben. Die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft sind nicht sehr hoch (verglichen mit den finanziellen Voraussetzungen, die etwa der Erwerb eines einfachen Erholungsgrundstücks mit Übernachtungsmöglichkeit in Brandenburg bedeutet): Mitgliedsbeitrag (monatlich), Darlehen (unverzinst, rückzahlbar), Spende nach Absprache, Zustimmung aller Mitglieder. Sollte die finanzielle Hürde zu hoch sein, haben wir bisher immer flexible und individuelle Lösungen gefunden. Auch der Austritt ist einfach. Ein Ausschluss von Mitgliedern ist nur möglich, wenn jemand schwerwiegend gegen Beschlüsse des Plenums verstoßt und sich alle anderen einig sind.

Außerdem wird von den Vereinsmitgliedern erwartet, dass sie sich an den anfallenden Arbeiten beteiligen. Alle Mitglieder sollen 40 Arbeitsstunden im Jahr in den Verein einbringen. Ein Teil der Beiträge kann auch in Arbeitsstunden umgewandelt werden und umgekehrt. Hierfür nutzen wir die hauseigene Kryptowährung Mangoldbienchen mit dem Wechselkurs 1h = 1 Mangoldbienchen = 15 €. Jedes Mitglied, das das wünscht, bekommt eine Zimmer, das es in eigener Verantwortung ausbauen kann und für das es ein „Erstnutzungsrecht“ hat.

4. Die Praxis

Einen Endruck davon, was wir machen, wenn wir im Gutshaus sind und wie wir es tun, bekommt Ihr natürlich am Besten, wenn Ihr uns – gern auch öfter – besucht. Darum folgen hierzu nur ein paar Stichworte.

Den Laden am Laufen halten

Wir haben das Gutshaus inzwischen in einen Zustand versetzt, der eine Nutzung als Ferienhaus ermöglicht. Um diesen Zustand zu erhalten, fällt immer was an: die Grube warten, Rechnungen bezahlen, Dachrinnen reinigen, das Schilfbeet pflegen, (Sperr-)Müll organisieren, Kleinreparaturen durchführen, Holz kaufen und einlagern, im Verein kommunizieren und ggf. Entscheidungen treffen, zum Plenum einladen und Protokoll schreiben …

Den WG-Haushalt besorgen

Ein größerer Teil der Zeit, die man in Zichtow verbringt, geht für ganz klassische Haushalts- und Versorgungsarbeit drauf. Einkaufen, Essen machen, spülen, putzen, aufräumen, heizen, Kinder versorgen und erziehen.  Spielzeug ein- und ausräumen, mal durchfegen und aufräumen, verschiedensten Müll entsorgen etc.  Dafür ist es wichtig, immer ein wenig mehr beizutragen, als es für die unmittelbaren eigenen Bedürfnisse erforderlich ist, Rücksicht darauf zu nehmen, was andere nervt,  und sich auf etwas zu einigen, das für alle ok ist.  Auch hier gilt das passive Konsensprinzip.

Das Bauen

In den letzten Jahren wurden 6-8 Bauwochenenden verabredet, um dann gemeinsam schwerpunktmäßig etwas zu schaffen. Das Bauen ist nach wie vor eine wichtiger Teil der Praxis und der Zeit, aber es dominiert nicht mehr alles andere. Aber auch außerhalb der Bauwochenenden darf gebaut werden, um die Dauerbaustelle Stück für Stück durchs Haus wandern zu lassen und weitere Teile besser nutzbar zu machen.

Kinder, Assoziierte, Familie, Freunde, Gäste

Zichtow ist für Kinder ein super Ort.  Das betrifft nicht nur das Spielen „ums Haus“ und „in der Natur“ sondern auch das sich bewegen in einem Gemeinschaftsprojekt und die verschiedenen Beziehungen zu anderen Kindern und Erwachsenen. Das finden nicht nur die Eltern. Wenn die Kinder zusammen spielen, entlastet das die Eltern, die Zeit für anderes haben.

Neben den Vereinsmitgliedern gibt es weitere Personen, die mit dem Projekt eng verbunden sind. Das sind zum einen Partner:innen der Mitglieder und zum anderen „Assoziierte“, die einen festen Status mit dem Verein ausgehandelt haben, der zwischen Gast und Mitglied liegt. Oft sind auch Angehörige (Eltern, Geschwister, Neffen und Nichten) und Freunde in Zichtow zu Gast. Manche davon sind phasenweise regelrechte Stammgäste, die auch selbstständig länger bleiben.

Das Projekt bietet damit für einen sehr viel größeren Kreis an Leuten als die Vereinsmitglieder die Möglichkeit, das Haus zu nutzen, die Gegend kennen zu lernen und uns und einander zu treffen.

Freie Zeit

Das Spektrum der Tätigkeiten ist breit: Kaffee trinken, Lesen, Spazieren gehen, Feuer machen, garteln, quatschen, für die Arbeit arbeiten, was mit den Kindern machen, für Prüfungen lernen, Bier Brauen und trinken, werkeln, Yoga machen, Joggen, Baden gehen, reiten gehen, Gegend anschauen … Es gibt dazu kein Programm. Alles kann, muss aber nicht mit anderen zusammen. In unregelmäßigen Abständen organisieren wir im Sommer ein Fest für uns, für Freunde und Nachbarn.

Regeln, Absprachen und Routinen

Feste Regeln gibt es nur sehr wenige. Auch für die Gestaltung der gemeinsamen Praxis gibt es kaum feste Regeln, außer den eigenen Müll sachgerecht weg zu räumen und das Haus nur so zu nutzen, dass die anderen es ok finden. Die Praxis organisiert sich über Routinen, die sich bilden, weil etwas von allen oder einigen als sinnvoll nachvollzogen wird oder durch situative Absprachen zwischen den Beteiligten. Daher hängt ein Tagesablauf und die Dinge die gemeinsam gemacht werden auch ganz stark davon ab, wer gerade da ist. Das ist eine ziemlich flexible Sache, kann aber auch anstrengend sein, wenn Dinge oder Personen sich noch nicht eingespielt haben. 

5. Fazit

Wir verstehen uns als eine Gruppe von Menschen, die ein nicht-kommerzielles Gemeinschaftsgut  (Common) pflegt und nutzt. Dieses Gemeinschaftsgut ist durch die folgenden vier Aspekte gekennzeichnet:

– nichtkommerzielles, naturverbundenes Freizeitobjekt mit Gruppenanschluss

– denkmalgeschütztes Gebäude und als Spielwiese für historisch sensible Selbstbauer:innen

– Lern- und Erfahrungsfeld für Gemeinschaftsgüter und -praxis

– nicht durchrationalisierter Ort mit Offenheit und Potential für weitere Entwicklungen

Was das bedeutet, wird vielleicht auch noch einmal durch die folgenden Punkte deutlicher,  die benennen, was das Projekt nicht ist:

  • Das Gutshausprojekt ist keine Jugendherberge oder Freizeitanlage mit Teilzeitwohnrecht, in der man sich durch Darlehen und Mitgliedsbeiträge ein bestimmtes Nutzungsrecht kaufen  kann. Es gibt einfach niemanden, der gegen Geld für die Bereitstellung eines Wohn- bzw. Nutzungsrechts, geschweige denn für den weiteren Ausbau verantwortlich gemacht werden könnte. Es gibt keinen Herbergsvater, Hausmeister, Bauleiter, Objektleiter oder Geschäftsführer. Damit unterscheidet sich das Gemeinschaftsgut von marktgängigen Konsumgütern.
  • Es handelt sich bei dem Projekt nicht um eine Organisation in einem funktionalistisch-instrumentellen Sinn. Weder gibt es eine durch Funktionen regulierte interne Arbeitsteilung noch einen oder mehrere nach außen gerichtete Ziele oder Zwecke. Das ist so, auch wenn natürlich Arbeit verteilt wird, die Satzung „externe Zwecke“ nennt und sich eine Reihe von „Selbstzwecken“ angeben lassen.
  • Die Vereinsmitglieder sind auch keine in erster Linie sozial-emotionale oder weltanschaulich-ideologische Gemeinschaft. Das ist so, auch wenn es vielleicht zwischen einzelnen oder Teilmengen solche Gemeinsamkeiten geben kann und das dann auch Nähe herstellt.
  • Anders als bei bestimmten Commons (Weide, Fischgründe, Wälder), handelt es sich auch nicht um ein wirtschaftliches Gut, sondern um Hobby- oder Freizeitgüter und damit um ein nichtkommerzielles Projekt.

In den letzten 20 Jahren ist es uns gemeinsam gelungen, das Haus in einen sicheren und nutzbaren Zustand zu versetzen. Niemand von uns hätte das allein geschafft. Es ist uns gelungen, eine Praxis zu organisieren, die das Haus erhält und weiter entwickelt und die unsere unterschiedlichen Nutzungsansprüche abdeckt. Dabei ist immer noch viel Raum weitere Interessierte geblieben.

Es ist ziemlich einfach, mit zu machen, als Gast oder als Assoziierte:r. Selbst für eine Mitgliedschaft sind die finanziellen Voraussetzungen nicht sehr hoch. Eine Mitgliedschaft bedeutet aber schon ein zeitlich etwas aufwändigeres Hobby. Denn die Mitgliedschaft bedeutet eben nicht nur sich an der Nutzung zu beteiligen, sondern vor allem auch die Willenserklärung, sich an der Bereitstellung zu beteiligen.